„Allmächd, die Leid singer fei wergli den ganzn Dooch!“
BerlinVokal beim Chorfest in Nürnberg 29.5. – 1.6.2025
Der Deutsche Chorverband hatte unter dem Motto „Stimmen der Vielfalt“ zum Chorfest nach Nürnberg eingeladen – und es war ein Fest der Superlative: 628 Chorkonzerte an vier Festivaltagen, 427 Chöre und 14.000 Sängerinnen und Sänger haben beigetragen und die Vielfalt war unermesslich: Zeitgenössische Chormusik, alte Musik, Klassik, Folklore, Gospel, Jazz, Pop, Show, Musical, Romantik, Vocalensembles, Vocalbands usw. – es war einfach alles vertreten, was man sich vorstellen kann.
Es gab Frauen- und Männerchöre, Kinder- und Jugendchöre waren ebenso vertreten wie unzählige Chöre mit jugendlicher Ausstrahlung. Gesungen wurde auf Straßen und Plätzen, in Konzerthäusern, Biergärten, Akademien, im Rathaus und in Museen, auf dem Hauptmarkt und seinen Nebenstraßen, in Bildungseinrichtungen und Kinos, in Gaststätten und Restaurants, in Jugendherbergen und Hotels, in Kirchen und Priesterseminaren, auf und unter Brücken. Allein im Wettbewerb starteten über 100 Chöre und Vokalensembles an drei Festivaltagen und stellten sich dem Urteil und dem Feedback der hochkarätig besetzten Jury-Kommissionen.
Es gab einfach alles – und wir von BerlinVokal waren mittendrin!
Doch halt und von vorne. Alles begann so: die Entscheidung am Chorfest und dem Wettbewerb teilzunehmen trafen wir letztlich im vorigen Jahr 2024, aber eigentlich waren die Weichen in 2022 bereits gestellt, als wir am Deutschen Chorfest in Leipzig teilnahmen. Der Beschluss des Chors war dann recht schnell gefasst: wir wollten teilnehmen, andere Chöre hören und kennenlernen, uns gut präsentieren, zeigen, was wir können, Wettbewerbserfahrung sammeln und uns auch dem Urteil einer Fach-Jury stellen. Ein mutiges und ambitioniertes Vorhaben! –
Das Reiseziel klang attraktiv: Nürnberg, die „frängische“ Metropole „Nämberch“, verheißt Lebensqualität und Lebensart. Ihre Einwohner sind von freundlicher Offenheit, Gastfreundschaft und Zugewandtheit. Der „frängische Dialekt“ lässt das Leben weich und weniger hart erscheinen als der Sound der Großstadt Berlin. Also alles sehr einladend! – Allerdings fällt das Verstehen des Dialekts mitunter schwer, auch wenn der Chorverband freundlich mit dem Hinweis auf Grundregeln nachhalf: „das schwere prälabial gesprochene „I“; „zwischen den Konsonanten „p“ und „b“ oder „t“ und „d“ ist in der Aussprache kein Unterschied. Sie werden alle weich gesprochen.“ – Aha!
Aber dann begann die eigentliche Arbeit der Vorbereitung, die uns intensiv beschäftigte: mit welchen Liedern sollten wir uns präsentieren? – Welche „Baddidur“ wäre für dieses Event angemessen? – Gibt es eine Zusammenstellung von Liedern, die den unverwechselbaren Sound von BerlinVokal markieren? – Was macht uns aus?
Vor dem Hintergrund der Tragweite und Konsequenzen dieser wichtigen Fragen erinnerten wir uns, für solche Herausforderungen einen sicheren Ratgeber zu haben: wir delegierten die Entscheidung an unseren künstlerischen Leiter Max, der für sich (und uns) ohnehin bereits eine klare Vision hatte: wir singen „September in the rain“, „Frag nicht wohin“, „Let’s call the whole thing off“ und „Exile“ gab er kurz und knapp bekannt. Der Chor stimmte zu.
Damit war klar: wir würden unsere jazzigste Seite zeigen, aber auch die „Latte hoch legen“; „September in the rain“ und „Let’s call….“ sind sehr komplexe Stücke, die uns stark fordern, „Frag nicht wohin“ eine wunderbare Ballade, die feinfühlig erzählt werden muss und „Exile“ ein herausragendes Stück, eigentlich ein gesungenes Drama: bei guter Performance würden wir damit einmalige Erlebnisse bieten können. Also: ran an die Arbeit!
Auf diesem steinigen Weg der Vorbereitung hätte wohl mancher von uns gelegentlich nach einer Abkürzung gerufen, wenn uns unser Chorleiter Max nicht immer wieder mit viel Liebe zu uns und zum Detail und bisweilen dem nötigen Nachdruck auf den rechten Weg geführt, aufs Neue geschult und sicher geleitet hätte. Außerordentlich viel verdanken wir auch Felix Powroslo, der uns in Fragen der Bühnenpräsenz und dem Zugang zu den Songs und unseren eigenen Emotionen zu neuen und gewinnbringenden Perspektiven verhalf, die uns den gemeinsamen Gesang bisweilen ganz neu erleben ließen. Das war eine Zeit, in der wir alle viel Zeit und Mühe investiert und in der wir viel gelernt haben – die aber auch das gemeinsame Erleben des Chorgesangs und die Erzählung der Stücke auf eine neue Ebene gehoben hat.
Und dann nach Monaten endlich der 29. Mai: wir starteten gemeinsam mit dem Zug nach Nürnberg. Schon die Fahrt war ein Chor-Erlebnis: eigentlich in jedem Abteil nur Sängerinnen und Sänger, überall Chöre unterschiedlichster Provenienz. Man kam schnell ins Gespräch, die Frage nach dem „Wohin?“ stellte sich nicht wirklich. Ähnlich war der Eindruck in Nürnberg: überall Sängerinnen und Sänger – wohin man blickte und an welchem Tisch man im Hotel oder Gasthof auch saß!
Das dichte Programm entfaltete sich für uns dann sehr schnell: erste Probe noch am Tag der Ankunft, zweite Probe am folgenden Tag und dann erstes Konzert im Orpheum – ein alter Kinosaal, kleine Bühne und enger Kontakt zum Publikum. Der Funke sprang schnell über, wir wurden freudig begrüßt und der Auftritt mit herzlichem Applaus begleitet; wir hatten sie für uns gewonnen. Diese offene und freundliche Atmosphäre sollte sich bei allen weiteren Auftritten wiederholen. Wir erlebten in den drei Konzerten ein liebevolles und dankbares Publikum und wurden bisweilen von Chören und Sängern aus dem Publikum angefeuert und unterstützt, mit denen wir schon früher gemeinsam gesungen hatten („Jäzzchor mit ä“ und Sänger der „Voice Changers“ aus Berlin).
Und abseits der Konzerte: Selbst Stellproben, die aus Mangel an Zeit und Räumen in der Fußgängerzone stattfanden wurden mit großem Interesse begleitet; nach ersten Liedern wurden Zugaben vom Publikum gefordert. – Ebenso schön: bei einem spontanen Auftritt mit dem Lied „Flowers“ in der Fußgängerzone der Innenstadt versammelten sich spontan viele Menschen zum Zuhören und Zusehen; es wurden Fotos und Videos gemacht und man kam schnell ins Gespräch: „Woher kommt ihr?“ – „Das macht ihr toll!“ – „Des schigg ich meinem Schwager in Schweinfurt…..“ – „Kennen wir uns nicht aus Kirchzarten?“ – Es war schön in so viele glückliche Gesichter zu blicken und wir hatten eine wunderbare Freude dabei.
Viel Freude hat uns auch der gemeinsame Auftritt mit dem Kinder- und Jugendchor „Canzonetta“ aus Berlin bereitet, mit dem wir gemeinsam auf dem Hauptmarkt auftreten und den Landesverband Berlin repräsentieren durften. Hierfür hatten wir gemeinsam „Rewrite the stars“ eingeübt und die jungen Sängerinnen begleitet. Ohne Zweifel und mit viel Respekt können wir sagen: die Sängerinnen und Sänger von Canzonetta haben großes Talent und werden sich ganz sicher einen Platz am Berliner „Chor-Himmel“ ersingen können – und damit die „Sterne neu justieren“.
Am Samstag dann kam für uns der Tag des Wettbewerbs; wir sollten als letzter Chor des Tages das Programm in der Gruppe „Jazz/Pop I“ beschließen. Wir fühlten uns getragen von dem freundlichen Zuspruch des Publikums in den vergangenen Tagen und nahmen diese Energie mit in den Wettbewerbsauftritt. Die Hitze flirrte über dem Campus des Wettbewerbs; noch wenige Stellproben für Auf- und Abgang, ein gemeinsames Einsingen, ein letzter Blick auf schwierige Passagen, eine letzte gemeinsame Einstimmung auf ein Konzert, bei dem wir stolz waren dabei sein zu können und das nun endlich unmittelbar bevorstand.
Im Saal angekommen war die erste Überraschung, die Jury von der Bühne aus gar nicht sehen zu können: sie saßen im Dunkeln, ebenso wie das Publikum. Ein freundliches Jury-Mitglied erinnerte uns und das Publikum praktisch „aus dem Off“ an die Regeln: Einhaltung der Zeitvorgaben; kein Applaus zwischen den Liedern – nur am Ende. – Und los ging’s mit allem, was wir konnten. Es war irritierend am Ende der ersten Lieder nur fröhlich winkende Hände zu sehen, aber keinen Applaus hören zu dürfen, der doch so sehr dazu gehört. Umso mehr am Ende: ein donnernder und sehr freundlicher Applaus beendete den Wettbewerbsauftritt. Wir gingen gerührt von der Bühne und glücklich, diese Herausforderung für uns genommen zu haben.
Dieses Glück feierten wir im Anschluss noch gebührend bei einem italienischen Gastwirt, der gelegentlich bereitwillig und freudig das Dirigat übernahm – bevor wir am folgenden Tag Nürnberg verließen. – Das detaillierte und wertschätzende Feedback der Jury erreichte uns über unseren Chorleiter Max dann wie versprochen mit einiger zeitlicher Verzögerung: da war viel von einem gelungenen Auftritt, einem schwierigen Repertoire und schönen Texten die Rede, die wir sehr einfühlsam gesungen haben. Dazu gab es auch Vorschläge für die weitere Arbeit, an der wir weiter wachsen können. Vielleicht hätte es unser Publikum bei den Konzerten weniger fachlich, aber ganz ähnlich formuliert – oder wie die „frängischen“ Gastgeber sagen: „Fei gescheid schee – bassd scho“! – Wir kommen gerne wieder…….
Fotos: Neele Kilanowski







